Von "Gifthunger" und "Rauchwut": kuriose Wissenschaftsbeschreibung eines "Haschisch-Süchtigen" von 1933

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Was man nicht alles bei der Recherche findet! Der folgende Abschnitt einer wissenschaftlichen Abhandlung aus dem Jahre 1933 über "Haschisch-Süchtige" erheitert ungemein. Das verwendete Vokabular und der unipolar schroffe Betrachtungswinkel des Autoren gibt einen kuriosen Einblick in den damaligen Zeitgeist und das Denken über gesellschaftlich inakzeptable Drogen – auch wenn er nicht so ganz Unrecht hat, so wirkt es auf den heutigen Leser wie eine satirische Überzeichnung eines täglichen Kiffers. Bei Lust auf mehr Unterhaltung empfiehlt sich die ganze 10-seitige Arbeit mit dem Titel "Zur Klinik der Haschischpsychosen. (Nach Studien in Griechenland)" eines M. G. Stringaris aus dem Jahre 1933 aus Heidelberg.

Als es um die charakteristische Beschreibung eines typischen "Haschischsüchtigen" (wohlgemerkt keines an einer drogeninduzierten Psychose Erkrankten) geht, findet Herr Stringaris stringente Worte: (ungewöhnliche Begriffe werden in eckigen Klammern durch uns erklärt und Absätze der besseren Lesbarkeit wegen eingefügt)

Eine quantitative Steigerung der Eigentümlichkeiten der Haschischsüchtigen stellt der protrahierte [verzögerte oder in die Länge gezogene] Rausch dar. Zuweilen befällt diese Leute eine ausgesprochene Rauchwut. Sie rauchen den ganzen Tag ununterbrochen unzählige Wasserpfeifen und Zigaretten, um nur während des Schlafes eine Pause zu machen. Wenn sie das mehrere Tage hintereinander getrieben haben, entsteht ein Zustand, bei dem man einzelne Räusche nicht mehr auseinanderhalten kann.

Die Folge dieser Rauchwut ist eine Steigerung und Protrahierung bestimmter Symptome des Einzelrausches. Die gesamte Motorik verändert sich in charakteristischer Weise. Es entstehen daraus eine Anzahl von manierierten [erstarrte, gekünstelte] apachenartigen [? – wohl vom indigenen Apachenstamm abgeleitet] Ausdrucksbewegungen.

Die Nachahmung dieser Bewegungen gibt sogar auf den leichten Athener Bühnen den Typ des Haschischrauchers ab. Sie entwickeln eigenartig verschrobene Ideen und beschäftigen sich gerne mit philosophisch metaphysischen Fragen, was dem Haschisch den Namen „poison de l’intelligence“ [intelligentes Gift] eintrug. Sie produzieren eine durch einen gewissen Jargon charakterisierte wort- und bildreiche ideenflüchtige Zerfahrenheit derart, daß man den Sinn der ganzen Rede wie hinter einem farbigen Schleier sieht. Eine enorme Empfindsamkeit, die an das noli me tangere [„Rühre mich nicht an“] mancher Schizophrenen erinnert und eine stark ausgeprägte paranoische Einstellung gegen ihre Umgebung ergänzen einigermaßen dieses Zustandsbild.

Die Leistungsfähigkeit im Berufe bleibt bei einigen von ihnen erhalten, ist aber gewöhnlich durch ihre Ruhelosigkeit, Reizbarkeit und Neigung zu Gewaltakten gestört~. Wenn diese Rauchwut nach einer Reihe von Tagen nachläßt, dann kehrt der Raucher allmählich in seine gewöhnliche seelische Lage zurück. Der ganze Zustand ist grundsätzlich nichts anderes als ein protrahierter Rausch infolge unmittelbarer Wirkung des Mittels. Ähnliche Zustände sind bei anderen Genußgiften nicht bekannt. Die dipsomanen Anfälle der periodischen Alkoholiker erinnern im äußeren Verlauf etwas daran. Beim Haschisch scheint aber die Periodizität zu fehlen, ebenso die in der freien Zeit vorhandene vollkommene Abstinenz und Nüchternheit. Hier dagegen tritt die Rauchwut während des chronischen Mißbrauchs aus äußeren Anläßen auf, z. B. wenn die Leute mehr Haschisch kaufen können oder überhaupt mehr Gelegenheit zum Rauchen finden. Oder innere Anläße werden wirksam: Endogene Schwankungen oder ein Gifthunger, der vielleicht durch das Mittel selbst erzeugt wird.

Abgesehen von den rassistischen Ressentiments (Vgl. "apachenartige Bewegungen") und der antiquierten Sprache könnte der Text inhaltlich auch von so manchem modernen Cannabisgegner stammen – traurige Einzelfälle werden zu einer pauschalisierenden Kollektiveigenheit aufgebauscht. So etwa der bekannte Prof. Thomasius, der beruflich mit stark cannabisabhängiogen Jugendlichen zu tun und daher zu einem verzerrten Bild über die Droge Cannabis gelangt. So spricht auch er von realitätsfremden Dingen, etwa "Turbo-Cannabis so stark wie LSD" und ähnlichem Unsinn. Es hat sich also nicht allzu viel verändert 😉

anti cannabis propaganda plakat
Anti-Cannabis Propagandaplakat aus den USA (ca. 1930)

Von Haschisch spricht man zu dieser Zeit übrigens deshalb, weil potentes Weed damals quasi noch nicht verfügbar war (sondern erst später ab ungefähr den 70er Jahren selektiv herangezüchtet wurde). Einen ordentlichen THC-Rausch gab es für die allermeisten Menschen damals nur mittels Haschisch, das schon seit Jahrhunderten im arabischen Raum bekannt und in hoher Qualität hergestellt wurde.

Oval@3x 2 Was man nicht alles bei der Recherche findet! Der folgende Abschnitt einer wissenschaftlichen Abhandlung aus dem Jahre 1933 über "Haschisch-Süchtige" erheitert ungemein. Das verwendete Vokabular und der unipolar schroffe Betrachtungswinkel des Autoren gibt einen kuriosen Einblick in den damaligen Zeitgeist und das Denken über gesellschaftlich inakzeptable Drogen - auch wenn er nicht so ganz Unrecht hat, so wirkt es auf den heutigen Leser wie eine satirische Überzeichnung eines täglichen Kiffers. Bei Lust auf mehr Unterhaltung empfiehlt sich die ganze 10-seitige Arbeit mit dem Titel "Zur Klinik der Haschischpsychosen. (Nach Studien in Griechenland)" eines M. G. Stringaris aus dem Jahre 1933 aus Heidelberg.

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